Hilde Kuhlmann, Leitung

Der tanzchor60+ hatte zur Premiere seiner dritten Produktion eingeladen und etwa hundert interessierte Menschen waren begeistert von „FOCUS“, einer Kooperation mit der Weltmusikerin Katy Sedna. Mit wunderbarer Musik aus vielen verschiedenen Ländern, ungewöhnlichen Klängen und einer großartigen Choreographie verzauberte der tanzchor60+ unter der Leitung von Hilde Kuhlmann im Bernd-Mischke-Saal die ZuschauerInnen bis hin zu einem fulminanten russischen Abschlusslied. Die Verbindung von Musik und Tanz, diesmal mit einem Solo von Jutta Dollbaum, vielen persönlichen Momentaufnahmen, getanzten Bildern und Geschichten, legte den Fokus auf die Auseinandersetzung mit der eigenen und „fremden“ Kulturen. Berührend und erheiternd: immer wieder fasziniert, was Menschen zwischen 60 und 80 Jahren hier auf die Bühne bringen. Am Klavier begleitetete einfühlsam: Claus Fabienke. Eine Wiederholung für den 13. September angesetzt.  - Stadt Wuppertal

Überall auf dieser Welt treffen Kulturen aufeinander. Sie verbinden, verweben, verändern sich. Immer neu und anders. Das macht das Leben vielseitig und bunt. Und auch herausfordernd. Durch all die Begegnungen hier und da, fern und nah entstehen Bewegung, Wandel und Veränderung. Fragen tauchen auf. Für Einzelne und die Gemeinschaft. Was ist meine (eigene) Kultur? Was macht mich aus? Wo komme ich her? Und wo gehöre ich dazu? Diese Fragen werden zu einem funkelndem Reigen von Ankommen und Abschiednehmen, von Verunsicherung, Traurigkeit, Glück, Angst, Sehnsucht und tiefer Freude.

FOCUS vom TanzcHor 60+ dreht sich um dieses Flechtwerk von Erfahrungen und Gefühlen. Es sind Menschen über 60, lebenserfahrene Menschen, die das Singen und Tanzen lieben. Begleitet werden sie seit Beginn von der Musikpädagogin HILDE KUHLMANN, von der die Idee stammt, Tanz und Gesang so außergewöhnlich miteinander zu verbinden. Auf ganz wunderbare Weise öffnet sie den Raum für das Zusammenkommen der Menschen über Gesang und Tanz. FOCUS ist diesmal in Kooperation mit der in Wuppertal lebenden Musikerin KATY SEDNA entstanden. Heute als erwachsene Frau ist sie selbst noch ein Kind unterschiedlicher Kulturen, aufgewachsen in Deutschland, Afrika und den USA. Sie singt irische, indische, afrikanische, portugiesische, amerikanische Lieder, Lieder aus aller Welt. Von Herzen, über Melodien, Klänge und Rhythmen singt und spielt sie berührende Geschichten, die davon erzählen und erfahrbar machen, was das Leben von Mensch und Menschen in und zwischen Kulturen ausmacht. Ihr Erleben weltweit lassen Katy Sedna, aufschlussreiche und vielsagende Geschichten und Hintergründe zu den Liedern erzählen. Über die vielseitigen Persönlichkeiten, Gesten, Bewegungen und Gesänge des TanzcHors entstehen in Wuppertal neue berührende Kulturbegegnungsräume und Geschichten. Von jeder Einzelnen, jedem Einzelnen werden sie weitergetragen, weitererzählt, weitergesungen und –getanzt.

FOCUS (on three) führt über ein Klang- und Rhythmusspiel in das Zusammenkommen von Sprachen und Kulturen ein. Geschichten vom Sein zwischen den Kulturen begleiten viele von uns, seit der Kindheit bis ins hohe Alter. Und dann, wer kennt ihn nicht? Den Kinderreim: Eins, zwei, drei, vier, mein Hut, mein Stock, mein Regenschirm, vorwärts, rückwärts, seitwärts, stehn. Immer wieder kann es auch so sein, dass uns gemeinsam so etwas wie ein Marsch trägt und begleitet, der sich eckig und quadratisch anfühlt. Fast wundersam dann auch weich werden kann. Ähnlich wie die Musik es vermag, sich zu verändern in Klangfarbe und Stimmung.

SAFIA ist ein afrikanisches Lied, aus Togo. Es erzählt die Geschichte von einer Frau, die nicht tanzt auf einem Fest, auf dem alle tanzen. Sie ist eine wunderschöne, attraktive Frau. Sie ist ein Mysterium. Denn dadurch, dass sie nicht tanzt, kann niemand erkennen, wer sie ist, und wie sie ist. Woher kommt sie? Warum tanzt sie nicht? Das fragen sich alle. „Ich denke an sie, weil sie etwas ganz besonders ist“ heißt es. Das Tanzen in Afrika ist eine spielerische gemeinsame Macht, ein freudiges Zusammenkommen, in der jeder sich zeigt und offenbart, woher und wie er ist. Kaum einer kann sich dem entziehen.

ZELIÉ ist ein fröhlich-trauriges Lied für die Frau. Es wird viel auf Hochzeiten gesungen. Wenn in Afrika eine Frau heiratet, geht sie zur Familie des Mannes. Es ist also ein Abschiedslied, denn sie geht zu einer fremden Familie. So wie es früher auch in Europa war. „Wenn ich meine Augen öffne, bin ich traurig. Zelié ist nicht mehr da. Doch sie kommt in gute Hände.“ Das Schöne der Hochzeit steht für die Freude, die schöne Braut. Und alle singen um sie herum. Es ist eine Frauensache. Sie wird gefeiert als Braut. Sie wird aus ganz verschiedenen Perspektiven besungen.

Dafür, wie Menschen mit sich und miteinander umgehen, gibt es Lebensweisheiten, oder einfach Sprichwörter, wie: Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.

Eindrücke vom Auftritt

Im indischen Raga Bhaihavi SHYAM SUNDARA geht es um den göttlichen Flötenspieler Krishna, mit einer Pfauenfeder im schwarzen Haar. Krishna wird von seiner Mutter geweckt, mit den Worten: „Mein allerliebster Sohn, Deine Freunde warten draußen auf Dich.“ Wie ein Ruf in die Welt. Der moderne Text ist auf Hindi. Das Kind ist verzaubert. Die Melodien sind ebenso exotisch wie zugänglich, fast hypnotisch. Fast jeder von uns trägt sie wohl in sich, die Fragen: Wie wuchs ich als Kind auf? Was sagte mir meine Mutter?

SAVED BY A LOVER. Jemand kommt in das Leben eines anderen Menschen, dein, mein Leben und inspiriert dich dazu, zu entdecken, was wirklich Liebe ist. Es singt vom Öffnen des Herzens. Es erzählt von etwas, dass jedem Menschen in dieser manchmal so verrückten Welt retten kann. Es dreht sich um den Menschen, der in sich die Liebe entdeckt, die Liebe zum Leben, zu den Dingen und anderen Menschen. Es geht um Versöhnung mit sich selbst. Zugang zu sich selbst. Hinter dem Liebhaber und Liebenden verstecken sich oft ganz einfach die kindliche Begeisterung für die Liebe und das Leben eines jeden. Auch die Liebe für alles, was Gestalt annehmen kann. Die Bewegungen und Bilder als Ausdruck der eigenen, inneren Gefühle, die ganz persönlich von jedem Einzelnen liebevoll in die Welt gesetzt werden.

Das heilige Raga MULTANE oder SUNDARA SURA DJANAWA drückt eine tiefe Sehnsucht aus. Anders und exotisch, etwas ernst und schwer, mit einem ganz eigenem Wesen. „Was habe ich falsch gemacht in meinem Leben?“ Ein Gefühl, nicht auf dem rechten Weg zu sein. Wer kennt das nicht? Und gleichzeitig eine starke und tiefe Sehnsucht nach Gott und der wahren Liebe. „Es macht mich glücklich an Dich zu denken. Jeden Morgen, jeden Abend meditiere ich und frage mich, wann kommst Du endlich in mein Herz.“, heißt es voller Energie.

Das Liebeslied MALAIKA wird auf Suaheli gesungen, einer ostafrikanischen Sprache mit arabischen, indischem, englischen und portugiesischen Einflüssen. Es geht um die guten Geister, die die Menschen begleiten. Die höhere Ebene einer Kultur. „Es gibt uns Schutz“, lächelt eine der FOCUS-Beteiligten. Malaika verkörpert einen Mädchenname. Laika bedeutet Feder und Flaum. Ein populärer Name. Der junge Mann und das Mädchen Malaika möchten heiraten, doch die Mitgift ist zu hoch. Das Geld hat er nicht. Es ist nicht möglich, denn Malaika darf es nicht entscheiden, sondern nur ihre Eltern. „Mein Vögelchen. Ich träume von Dir.“ Zwei Welten prallen aufeinander. Das Geld zermürbt. Die Liebe bleibt platonisch. Und doch geht es einfach um all das Gute.

Was entsteht aus dem einen Samenkorn? THE ROSE. Die Rose. Wie eine Rose wächst, so ist all das was uns trägt. Aus einem ganz kleinen, unscheinbaren Samenkorn heraus. Immer im Wandel. All das ist möglich. Denn wenn Du frei sein willst, dann sei es einfach. IF YOU WANT TO BE FREE, BE FREE. Cat Stevens findet diese Worte schon lange. Viele kennen sie. Sie klingen in uns nach. Beflügeln uns. Und wenn Du es sagen willst, sag es einfach. You can do it today, you can make it all true. Ganz frei.

Was macht dann unsere Heimat aus? DOLINA ist ein russisches Lied. Dolina heißt das Tal. Die Sehnsucht nach Heimat wird laut. Im fernen, weiten Tal. Der Horizont. „Wo ist mein Haus, meine Straße? Wo gehöre ich hin? Wo sind die, die ich liebe?“ Dieses Lied hat eine Reise in sich. Ähnlich wie sie Katy Sedna , Hilde Kuhlmann, TanzcHormitglieder kennen. Wie viele, viele von uns. Manche wissen nicht immer davon. Ein stetiger Wandel. In, zwischen, inmitten von Kulturen. In nicht nur einer Heimat zu Hause zu sein. Es ist ein Wechselspiel von Sehnsucht und Freude, innerem Glück, sich immer wieder und aufs Neue diese Frage zu stellen. Finden. Gefunden werden. Präsent. Im FOCUS. Und auch danach.

Uta Atzpodien (nach Gesprächen mit Katy Sedna und Hilde Kuhlmann)